12.09.2016

tacheles 9/2016: Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG – Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung

Wird ein schwerbehinderter Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, begründet dies die Vermutung, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden ist und dadurch benachteiligt wurde. Eine Einladung zum Vorstellungsgespräch ist gemäß § 82 S. 3 Sozialgesetzbuch (SGB) IX nur dann entbehrlich, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers offensichtlich fehlt (BAG, Urteil vom 11. August 2016, Aktenzeichen 8 AZR 375/15).

Der Fall
Die beklagte Stadt schrieb Mitte 2013 die Stelle einer/-s „Technischen Angestellte/-n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ des von ihr unterhaltenen Komplexes „Palmengarten“ aus. Der mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehinderte Kläger – ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „Alternative Energien“ – bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle. Er fügte seinem Bewerbungsschreiben einen ausführlichen Lebenslauf bei. Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein und entschied sich für einen anderen Bewerber. Der Kläger hat von der beklagten Stadt die Zahlung einer Entschädigung verlangt. Zur Begründung hat er ausgeführt, die beklagte Stadt habe ihn wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert. Sie sei ihrer Verpflichtung nach § 82 SGB IX, ihn zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nicht nachgekommen. Bereits dieser Umstand begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden sei. Die beklagte Stadt hat sich darauf berufen, sie habe den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen, da dieser für die zu besetzende Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet sei. Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsverdiensten verurteilt. Das LAG hat das arbeitsgerichtliche Urteil auf die Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und die Entschädigungssumme auf einen Bruttomonatsverdienst reduziert. Hiergegen legte die beklagte Stadt Revision ein.

Die Entscheidung
Die Revision hatte vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG) keinen Erfolg. Die Beklagte hatte dadurch, dass sie den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hatte, die Vermutung begründet, dass der Kläger wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden und dadurch benachteiligt wurde. Sie war von ihrer Verpflichtung, den Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, auch nicht nach § 82 Satz 3 SGB IX befreit. Auf der Grundlage der Angaben des Klägers in seiner Bewerbung durfte sie nicht davon ausgehen, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Das Fazit
Ein Anspruch auf Entschädigung gemäß §§ 81 Abs. 2 SGB IX, 15 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) setzt voraus, dass ein behinderter Bewerber wegen seiner Behinderung benachteiligt wird. Ein Nachteil liegt bereits in der Versagung einer Chance bei der Auswahl der Bewerber im Hinblick auf eine zu besetzende Stelle. Das setzt allerdings voraus, dass aus dem Bewerbungsschreiben oder den beigefügten Unterlagen ersichtlich ist, dass in seiner Person die Schwerbehinderteneigenschaft im Zeitpunkt der Bewerbung (noch) vorliegt. Hier war diese Tatsache aus den Bewerbungsunterlagen ersichtlich. Insofern erscheint die BAG-Entscheidung konsequent.

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