27.09.2011

tacheles 9/2011: Anwendung nachwirkender Tarifverträge

Trotz Austritts des Arbeitgebers aus dem Arbeitgeberverband kann ein Arbeitnehmer der tarifschließenden Gewerkschaft beitreten und die Anwendung nachwirkender Tarifverträge auf ihn im Wege der Nachbindung erreichen (BAG, Urteil vom 6. Juli 2011, Aktenzeichen 4 AZR 424/09).

Der Fall
Der Kläger arbeitete seit Mai 2000 in einem tarifgebundenen Betrieb. Ende 2005 trat die Beklagte aus dem Arbeitgeberverband aus. Einzelvertraglich vereinbarten Kläger und Beklagte ab 2006 eine Arbeitszeit von 40 Stunden in der Woche sowie die Nichtgeltung der vorher einschlägigen Tarifverträge. Mitte 2006 trat der Kläger erstmals einer Gewerkschaft bei. In dem Betrieb wurde noch im Jahr 2005 über eine Betriebsvereinbarung ein Arbeitszeitkonto auf 40-Stunden-Basis eingeführt. Der Kläger verlangte nun von der Beklagten die Gutschrift von 189,5 Stunden auf das Arbeitszeitkonto. Er ist der Ansicht, dass wegen seines Gewerkschaftsbeitritts auf das Arbeitsverhältnis die einschlägigen Tarifverträge, die unter anderem eine Arbeitszeit von 35 Stunden vorsehen, auf ihn anzuwenden sind.


Die Entscheidung
Die Klage hatte teilweise Erfolg.
Das Gericht gab dem Kläger weitgehend recht. Der Kläger hat einen Anspruch auf Vergütung der angefallenen Stunden. Eine Gutschrift scheitert daran, dass das Arbeitszeitkonto nur für eine 40-Stunden-Woche ausgelegt ist und nicht für die tarifvertragliche Arbeitszeit von 35 Stunden angewendet werden kann. Der Austritt aus dem Arbeitgeberverband kann am Anspruch des Klägers auf Abgeltung der über 35 Stunden hinausgehenden Arbeitszeit nichts ändern. Die Tarifgebundenheit der Beklagten besteht so lange, bis die Tarifverträge jeweils enden. Vertragliche Regelungen zum Nachteil des Arbeitnehmers, die vor dem Gewerkschaftseintritt abgeschlossen worden sind, werden durch die normative Wirkung der Tarifverträge verdrängt. Durch den Beitritt zu einer Gewerkschaft hat der Kläger die Tarifgebundenheit ausgelöst. Dies gilt trotz des Austritts der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband. Sie war über das Institut der Nachbindung weiterhin an die Tarifverträge gebunden und verpflichtet, die Tarifverträge auf Mitglieder der vertragsschließenden Gewerkschaft anzuwenden. Das Gesetz unterscheidet bei der Tarifbindung nicht zwischen „echter“ Bindung und bloßer Nachbindung. Tritt der Arbeitnehmer also der Gewerkschaft bei, wirken ab diesem Zeitpunkt die Tarifverträge zwingend und unmittelbar nach § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz.


Das Fazit

Das Urteil des BAG überzeugt. Verbandstarifverträge gelten für Gewerkschaftsmitglieder und die Mitglieder der Arbeitgeberverbände. Tritt der Arbeitgeber aus dem Verband aus, weil er nicht mehr an die Tarifverträge gebunden sein möchte, gelten diese erst einmal in Form der Nachbindung weiter. Ziel der Nachbindung ist es, dass sich der Arbeitgeber nicht durch einen schnellen Verbandswechsel oder -austritt der Tarifbindung, die er einmal eingegangen ist, entziehen kann. Der Eintritt in die Gewerkschaft durch den Arbeitnehmer führt dazu, dass ihm auch nachwirkende Tarifverträge zugutekommen.

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