22.08.2019 / dbb beamtenbund und tarifunion

dbb Bürgerbefragung 2019

© geralt / pixabay.com
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Mehrheit hält Staat für überfordert und erlebt Verrohung der Gesellschaft

„Wir haben besorgniserregende Anzeichen für einen generellen Vertrauensverlust in die Leistungsfähigkeit des Staates in Deutschland“, bilanzierte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach am 20. August 2019 in Berlin die Ergebnisse der diesjährigen dbb Bürgerbefragung.

Nach der von forsa für den dbb durchgeführten Umfrage halten 61 Prozent der Befragten den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für überfordert. Am häufigsten werden hierbei die Themen Schule/Bildung, Migration, innere Sicherheit, Umweltschutz, soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung genannt. Silberbach: „Alles Themen, die mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft und dem gestörten Gerechtigkeitsempfinden der Leute zu tun haben. In den vergangenen Jahren hat unsere Umfrage immer wieder ergeben, dass die Menschen sich vom Staat wirksamen Schutz vor den negativen Auswirkungen von Globalisierung, Digitalisierung und Entgrenzung erhoffen. Die 2019 wachsende Unzufriedenheit mit dem Staat, der Politik, dem öffentlichem Dienst, etablierten Strukturen und Verfahren ist leider logische Konsequenz einer jahrzehntelangen Spar- und Rückzugspolitik, die wir dringend stoppen müssen.“

Um Vertrauen zurückzugewinnen und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu verbessern, müsse die „Performance“ des Staates schnell und nachhaltig verbessert werden. Silberbach: „Wir fordern seit Jahren eine angemessene Personalausstattung, bessere Bezahlung und deutliche Schritte hin zu Digitalisierung, Bürokratieabbau und Serviceorientierung. Das würde nicht nur die Bürger- sondern auch die Mitarbeiterzufriedenheit erhöhen.“

Denn beim persönlichen Umgang mit dem öffentlichen Dienst machen weiterhin über zwei Drittel der Befragten positive Erfahrungen, vor allem auf der Kreis- und Gemeindeebene. „Je persönlicher und je näher dabei der Bezug, desto positiver das Urteil“, so der dbb Chef: „Aus unserer Sicht sprechen gerade auch diese positiveren persönlichen Erfahrungsberichte dafür, dass es sich bei den negativeren Performancebeurteilung 2019 für den Staat um den Ausdruck eines generellen politisch-gesellschaftlichen Unbehagens handelt.“

Die einzelnen Berufsgruppen im öffentlichen Dienst genießen zudem auch 2019 hohe Wertschätzung bei den Bürgerinnen und Bürgern. Silberbach: „Die Top 10 im forsa-Beruferanking werden vom öffentlichen Dienst geradezu dominiert. Bei der Feuerwehr, in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, bei Polizei und Schule arbeiten die beliebtesten Leute – und das ist ein Trend, der seit 2007 stabil ist.“

Ein großes Problem ist dagegen weiterhin die Verrohung der Gesellschaft, die 83 Prozent der Menschen erleben. Über ein Viertel aller Befragten haben zudem Übergriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst beobachtet. Die Hälfte dieser Angriffe war körperlicher Art. Jeder zweite Staatsdiener ist bereits Opfer solcher Vorfälle geworden. „Es ist höchste Zeit zum Handeln. Wenn wir die Brutalisierung unserer Gesellschaft stoppen und die Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst schützen wollen, brauchen wir dringend ein umfassendes Investitionsprogramm Sicherheit im Dienst“, kommentierte Silberbach die besorgniserregenden Kernergebnisse der Sonderumfrage zum Themenfeld.

Ein solches Investitionsprogramm müsse sowohl die bekannten personalwirtschaftlichen, baulichen, organisatorischen und Ausrüstungsaspekte einbeziehen, als auch ganz neue Überlegungen. Silberbach: „Natürlich brauchen wir mehr Personal für Sicherheit und Justiz, damit Fehlverhalten zeitnah und spürbar sanktioniert werden kann. Außerdem sollten wir diskutieren, ob das Instrument der Forderungsabtretung nach Paragraph 78a des Bundesbeamtengesetzes auch auf Beleidigungstatbestände ausgeweitet und auf alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst Anwendung finden kann. Danach kann ein gerichtlich zugestandener Schadensersatzanspruch vom Dienstherren übernommen, ausgezahlt und später vom Verursacher eingetrieben werden. Dann würden alle Opfer von Übergriffen echte Rückendeckung der Dienstherren und Arbeitgeber spüren.“

Außerdem, so der dbb Chef weiter, sei ein Kulturwandel nötig. Der dbb und seine Mitgliedsgewerkschaften veröffentlichen seit Jahren Studien und Forderungen zum Umgang mit der Gewalt gegen Lehrkräfte, Polizei, Jobcenter-Mitarbeiter, Rettungskräfte und Feuerwehrleute. Silberbach: „Beschäftigte, Politik und Bevölkerung müssen jetzt aktiv werden. Wir brauchen flächendeckend Ombudsleute, an die sich die betroffenen Kolleginnen und Kollegen wenden können, wenn Vorgesetzte solche Angriffe bagatellisieren oder unter den Teppich kehren wollen. Beschäftigte, die zu Opfern werden, müssen falsche Scham überwinden und jeden Vorfall transparent machen. Und wir brauchen die Unterstützung der Bevölkerung. Das ist unser aller Gesellschaft, unser aller öffentlicher Dienst. Egal ob auf der Straße, in Schule, Krankenhaus oder auf dem Amt: Jeder, der Zeuge von Übergriffen wird, soll eingreifen, laut werden und Hilfe holen.“

Unterstützung erhielt der dbb Chef von den dbb Landesbünden. Für die Wahrnehmung der Bürgerinnen und Bürger, dass der Staat mit seinen Aufgaben überfordert sei, machte DBB NRW Chef Roland Staude in erster Linie den Personalmangel verantwortlich: „Immer mehr Aufgaben müssen von immer weniger Beschäftigten erledigt werden. Denn es werden zwar Stellen im Haushalt zur Verfügung gestellt, diese können auf Grund des Fachkräftemangels jedoch häufig nicht besetzt werden.“ Notwendig sei eine Attraktivitätsoffensive für den öffentlichen Dienst.

„Mit mehr als 10.000 unbesetzten Stellen ist kein Staat zur machen“, unterstrich auch der dbb Landeschef von Baden-Württtemberg Kai Rosenberger. „Handeln ist angesagt.“ Nur wenn in allen Dienststellen qualifiziertes Personal in ausreichender Anzahl vorhanden sei, lasse sich verloren gegangenes Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes zurückgewinnen.

Dietmar Knecht, dbb Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, unterstrich: „Wir haben seit Jahrzehnten die Wege der damaligen politischen Verantwortlichen kritisiert, die mit einem so genannten ‚schlanken Staat‘ punkten wollten. Inzwischen ist dieser ‚schlanke Staat‘ zu einem Gerippe mutiert. In Zeiten zunehmender Verunsicherung darf ein Staat nicht überfordert wirken. Wir sind froh, dass die Landesregierung mit ihren Beschlüssen bis hin zum Verzicht auf weiteren Personalabbau versucht – gemeinsam mit uns – umzusteuern.“

„Was die Situation in Schleswig-Holstein angeht, haben die Bürger recht, wenn sie mehrheitlich eine schleichende Überforderung des Staates feststellen“, sagte der dbb Landesbundvorsitzender Kai Tellkamp. Besorgniserregend sei, dass die Probleme an keiner Stelle konsequent und nachhaltig gelöst würden. „Wir dürfen uns nicht verzetteln in Zuständigkeiten, unklaren Verantwortlichkeiten und viel zu komplizierten Vorschriften.“

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