15.04.2012

Stuttgarter Allianz kämpft gegen die EU-Liberalisierungspläne

Die geplante Revision der Bodenverkehrsdienste (BVD) an europäischen Flughäfen soll nach Ansicht von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas für mehr Wettbewerb sorgen. Politik und Gewerkschaften sind alarmiert: Die komba Flughafen Stuttgart fürchtet Lohndumping und den Verlust vieler Arbeitsplätze. Mit einem Schulterschluss setzten Gewerkschaft und Spitzenpolitiker aus Brüssel und Stuttgart ein Zeichen mit Signalwirkung für Deutschland und Europa.

Arbeitskreis Verkehrsflughäfen-Info 2/2012

„Wir wollen die Verordnung verhindern! Es besteht keine Notwendigkeit für eine weitere Marktöffnung.“ Kämpferisch zeigte sich Thomas Mann (CDU), Mitglied des Europäischen Parlaments und Vizepräsident des Europäischen Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten (EMPL), am 5. April bei einem politischen Gespräch über die Liberalisierung der Bodendienstleistungen an EU-Flughäfen.
Im Verkehrslenkungsgebäude des Stuttgarter Flughafens trafen sich am Donnerstag der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), Thomas Mann und Politiker aller Parteien aus dem Landtag mit Vertretern des Flughafens und der komba. Jochen Haußmann, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion und Thaddäus Kunzmann (Mitglied im Sozialausschuss und im Ausschuss für Verkehr und Infrastruktur, CDU) sicherten ihre volle Unterstützung gegen die Pläne der EU-Kommission zu – auch bundesweit. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Claus Schmiedel kündigte an, das Thema in den Landtag einzubringen.

Die komba lehnt die geplante rechtliche Verselbstständigung der Bodenverkehrsdienste von den Flughafengesellschaften ab. Organisator Markus Kohler, Vorsitzender der komba am Flughafen Stuttgart und des Arbeitskreises Verkehrsflughäfen, wies auf die bereits vor 15 Jahren stattgefundene Deregulierung der BVD hin (Bodenabfertigungsdienst-Verordnung, BADV, vom 10. Dezember 1997). Die daraus resultierenden Gründungen von Tochtergesellschaften hätten bereits zu deutlichem Lohnverlusten bei den Beschäftigten geführt. „Eine weitere Liberalisierung wird die Tarifbindung bei den Bodenverkehrsdiensten nicht überstehen“, ist sich Kohler sicher. Bisher erhalten die Beschäftigten des BVD an den meisten deutschen Flughäfen einen Lohn, der sich an bestehenden Tarifverträgen, wie dem für den öffentlichen Dienst, orientiert. Nach Ansicht von Kohler werden neue private Anbieter mit Dumpinglöhnen die etablierten Dienstleister vom Markt drängen. Die Folge: steigende Arbeitslosigkeit, ineffiziente Arbeitsformen und ein deutlicher Rückgang an Sicherheit und Verlässlichkeit für die Millionen Flugpassagiere. Dabei wären von der geplanten EU-Revision mehr Personen betroffen als bei der insolventen Drogeriekette Schlecker.

Verkehrsminister Winfried Hermann, gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender des Stuttgarter Flughafens, räumte ein, dass die bisherige Liberalisierung schon zu Lasten der Beschäftigten gegangen sei, deren Belastbarkeitsgrenze erreicht sei. „Sicherheit ist nicht verhandelbar“, sagte auch Thomas Mann. Es läge im Interesse der Fluggesellschaften, der Flughäfen und der Passagiere, die etablierten BVD als kompetente Partner in ihrer jetzigen Form zu erhalten. Kohler erinnerte an den Vertrag von Lissabon: „Kallas Flughafenpaket steht in krassem Widerspruch zur Sozialklausel!“ Die Parteien schlossen sich dieser Kritik an, auch im Hinblick auf einen Eingriff Brüssels in die unternehmerische Freiheit. „Der Markt ist zu klein für mehr Wettbewerb“, konstatierte ebenfalls Georg Fundel, Geschäftsführer des Stuttgarter Flughafens.

Die Hoffnungen der Beteiligten ruhen auf dem Europäischen Parlament, das die geplante Verordnung kippen kann. Eckhard Schwill, Bundesjustiziar der komba zeigte sich froh über die landes- und bundesweite parteiübergreifende Einigkeit. „Das ist eine klare Botschaft der Landesparlamente nach Brüssel. Wettbewerb darf nicht zu Dumpinglöhnen führen.“ Schwill und Mann kündigten an, für internationale Unterstützung zu sorgen und zahlreiche Antragsänderungen einbringen zu wollen. „Wir werden Druck in Brüssel ausüben!“ Die EU spräche sich für nachhaltige Wirtschaft aus, davon sei bei Kallas Vorhaben nichts zu erkennen.

Politik und Gewerkschaft betonten die Notwendigkeit, das Thema nach außen zu tragen, „mit Blaulicht und Sirenen“, wie Schwill ankündigte. Alle Politiker sicherten zu, sich mit Nachdruck für die Zukunft der vielen Tausend BVD-Beschäftigten einzusetzen. Die Stuttgarter Allianz setzt dabei ein starkes Signal gegen die Pläne aus Brüssel. Es liegt nun an Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) und den EU-Mitgliedsstaaten diesen „Murks der EU“, wie Thomas Mann sagte, zu verhindern oder die Verordnung in eine Richtlinie umzuwandeln, die nationale Gestaltungsräume impliziert. Der Stuttgarter Appell geht an die EU, bei ihrem Vorhaben mit Augenmaß und Vernunft vorzugehen. Liberalisierung darf kein Selbstzweck sein.


Hintergrund:
Die Pläne von EU-Verkehrskommissar Siim Kallas Flughafenpaket sehen unter anderem vor, den Wettbewerb unter den Dienstleistern der Bodenabfertigung an Europas Flughäfen zu erhöhen. Dafür soll die Richtlinie 96/97/EG aufgehoben werden, um eine weitere Deregulierung der BVD vorzunehmen. „Es gibt dringenden Bedarf, die Qualität und Leistung der Bodendienste an EU-Flughäfen zu verbessern“, sagte Kallas. Mindestens drei private Anbieter sollen sich zukünftig um das Parken, Sichern, Be- und Entladen an Großflughäfen innerhalb der EU kümmern. Bisher teilen sich überwiegend zwei Anbieter, oft der entsprechenden Flughafengesellschaft zugehörig, die Dienstleistungen.


Text: Christian Siekmann

  • AK Verkehrsflughäfen-Info 2/2012 als pdf-Dokument zum downloaden
  • Resulotion des Arbeitskreises Verkehrsflughäfen als pdf-Dokument zum downloaden
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