16.07.2020 / dbb beamtenbund und tarifunion

EKR 2020: Eine Vorleistung der Arbeitgeber sehe ich nicht.

tacheles-Interview mit Andreas Hemsing zur Einkommensrunde 2020


tacheles - Das dbb Tarif-Magazin für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer

Interview mit dem stellvertretenden Vorsitzenden der dbb Bundestarifkommission und Bundesvorsitzenden der komba gewerkschaft, Andreas Hemsing, zur Frage der Forderungsfindung zur TVöD-Einkommensrunde 2020 in Zeiten der Corona-Pandemie.

tacheles: Andreas, an dieser Stelle haben wir im letzten Heft den Oberbürgermeister der Stadt Hamm / Westfalen, Thomas Hunsteger-Petermann, interviewt. Er sagte, im Blick auf die anstehende Einkommensrunde, dass zwei Herzen in seiner Brust schlagen. Der dbb und seine Fachgewerkschaften sind aktuell gerade in der Phase der Forderungsdiskussion. In welche Richtung schlägt Dein Herz?

Hemsing: Mein Herz schlägt ganz klar und deutlich für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der kommunalen Welt. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sind systemrelevant. Das muss nicht nur in den Köpfen hängen bleiben, sondern sich endlich auch in attraktiven Einkommens- und Arbeitsbedingungen wiederfinden. Mit dieser klaren Haltung gehen wir in die Verhandlungen.
Gleichwohl sehen wir natürlich die schwierige Gemengelage. Hierbei treffen die aktuellen kommunalen Gegebenheiten auf die berechtigte Forderung nach fairer Wertschätzung in Form verbesserter Einkommens- und Rahmenbedingungen. Aufgabe am Verhandlungstisch wird es sein, zu versuchen, diese beiden Pole zusammenzubringen. Das wird sicherlich nicht einfach, aber wir sind bereit.


tacheles: Zur schwierigen Situation gehört gleichermaßen, dass auch ohne Corona viele Kommunen finanziell klamm sind. Wie bewertest Du den Rettungsschirm und welchen Umgang brauchen wir mit den so genannten Altschulden, um vergleichbare Lebensverhältnisse in ganz Deutschland nicht zu einem frommen Wunsch werden zu lassen?

Hemsing: Einen Rettungsschirm für die Kommunen halte ich für richtig und wichtig. Sie sind es, die in dieser Krise schnell und unbürokratisch Außergewöhnliches leisten. Dort werden die Maßnahmen umgesetzt, um Kontaktbeschränkungen zu überwachen, Gesundheitsämter am Laufen gehalten und Krankenhäuser betrieben. Das alles kostet.
Uns ist bewusst, dass alle Aspekte rund um Corona bei der Haushaltsplanung für 2020 nicht zu erahnen waren. Kommunalfinanzen sind ein Dauerthema, Corona hat die Brisanz verschärft. Daher ist der Rettungsschirm absolut notwendig. Allerdings lässt sich seine genaue Auswirkung zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bewerten. Aus diesem Grund haben wir eine Verschiebung der Tarifverhandlungen gefordert.
Trotz Rettungsschirm werden die Altschulden ein existenzielles Problem der Kommunen bleiben. Diese Thematik ist bislang noch gar nicht mit eingeflossen. Hier sind allen voran Bund und Länder gefordert, eine einheitliche Lösung zu finden. Die Kommunen können noch so intensive Maßnahmen ergreifen, das Problem der Altschulden ist ein gravierendes. Es muss diskutiert, angegangen und beseitigt werden.

 
tacheles: Die Einkommensrunde mit Bund und Kommunen findet nun im September und Oktober statt. Die von Dir angesprochene Verschiebung haben der dbb, ver.di und auch der Bund für sinnvoll erachtet. Warum wollte nach Deiner Meinung die VKA sich dem nicht anschließen?

Hemsing: Die Entwicklungen rund um Corona haben einmal mehr die Einsatzbereitschaft und Flexibilität der Beschäftigten im öffentlichen Dienst gezeigt. Auf so vielen Ebenen, aus dem Homeoffice heraus oder vor Ort, stellten und stellen sich die Beschäftigten den geänderten Bedingungen und neuen Herausforderungen. Eine solch flexible Reaktion hätten wir in der aktuellen Situation daher ebenso von der kommunalen Arbeitgeberseite erwartet. Die VKA hat jedoch mit Verweis auf die zweifellos schwierige Lage der Kommunen gegen eine Verschiebung argumentiert.
Aber genau aufgrund dieser schwierigen Situation wollten wir ja die erwähnte Übergangsvereinbarung. Ein Schieben wäre wie gesagt nicht zuletzt vor dem Hintergrund sinnvoll gewesen, da sich im Frühjahr 2021 viel valider ablesen lässt, wie genau die kommunalen Rettungsschirme greifen. Die VKA hat sich jedoch für einen anderen Weg entschieden. Nun gilt es auf gewerkschaftlicher Seite, in die Forderungsdiskussion einzusteigen.

tacheles: Den TV COVID interpretiert die VKA so, dass sie damit gegenüber den Beschäftigten bereits in Vorleistung gegangen sei. Wie interpretierst Du diese Darstellung und was hältst Du davon?

Hemsing: Als Vorleistung der Arbeitgeber sehe ich den Abschluss des Tarifvertrags Kurzarbeit nicht. Fakt ist, dass Arbeitgeber und Gewerkschaften den Abschluss des TV COVID gemeinsam ermöglicht haben. Es ging zum einen darum, den Arbeitgebern die Möglichkeit auf Unterstützung durch den Bund zu schaffen, und zum anderen, eine bundesweit einheitliche Regelung zu erzielen. Eine solche existierte bis dato nicht. Das ist mit dem Tarifvertrag Kurzarbeit gelungen. Unser gewerkschaftliches Entgegenkommen als Vorleistung der Arbeitgeberseite zu interpretieren, teile ich daher keineswegs.


tacheles: Wie schätzt Du die Stimmung und die Aktionsbereitschaft bei den Beschäftigten ein und in welche Richtung bewegt sich Eure Forderungsdiskussion?

Hemsing: An der Tatsache des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels in zahlreichen Bereichen des öffentlichen Dienstes hat sich nichts geändert. Mit einem Inflationsausgleich alleine lassen sich keine Fachkräfte in der benötigten Qualität gewinnen.
Wir verkennen die Krisenlage der Kommunen nicht. Deshalb streben wir eine Forderungsdiskussion mit Augenmaß an. Aber die Beschäftigten müssen an der allgemeinen Einkommensentwicklung beteiligt werden. Ob in ihrem ursprünglichen Bereich oder dort, wo Unterstützung gebraucht wurde, konnten die Bürgerinnen und Bürger auf die Beschäftigten im öffentlichen Dienst zählen. Das müssen auch die Arbeitgeber sehen und anerkennen.


tacheles: Sind die Gewerkschaften aktionsfähig?

Hemsing: Ja, wir sind aktionsfähig. Das werden wir zeigen und dabei angesichts der Corona-Pandemie Kreativität beweisen, wenn die Gespräche nicht die gewünschte und berechtigte Entwicklung zeigen.


tacheles: Systemrelevanz ist ein sperriger Begriff, der in Corona-Zeiten Konjunktur hatte. Die öffentlich Beschäftigten sind mit Komplimenten überhäuft worden. Gleichwohl muss sicher auch der öffentliche Dienst nacharbeiten, ob es für die Zukunft gilt, noch besser vorbereitet zu sein. Kann Tarifpolitik hier auch eine Rolle spielen, den öffentlichen Dienst weiter zu verbessern?

Hemsing: Tarifpolitik hat immer eine Rolle gespielt und wird es weiterhin. Nur durch Verhandlungen am Tariftisch können sich Einkommens- und Rahmenbedingungen nachhaltig verbessern. Das war schon immer so und zeigt zugleich die Bedeutung von Gewerkschaften. Wir sitzen für die Interessen der Kolleginnen und Kollegen am Verhandlungstisch. Die Pandemie hat noch einmal deutlich die Defizite der vergangenen Jahre vor Augen geführt. Das betrifft das Gesundheitswesen genauso wie Versäumnisse in Sachen Personalgewinnung und -entwicklung sowie Ausstattung. Dennoch haben die Beschäftigten mit ihrer Bereitschaft ein Aufrechterhalten und Funktionieren der öffentlichen Daseinsvorsorge und des öffentlichen Lebens ermöglicht. Applaus und wertschätzende Worte sind sicher motivierend, aber sie machen sich nicht auf dem Konto bemerkbar. Am Ende verpuffen sie wie heiße Luft, wenn sich Dinge nicht spürbar in Bewegung setzen. Damit der öffentliche Dienst handlungsfähig bleibt, braucht es zeitgemäße, attraktive und verbindliche Rahmenarbeits- und Einkommensbedingungen. Das ist der Weg, um Personal zu gewinnen. Nur auf diesem Weg kann dem Fachkräftemangel begegnet werden. Wir dürfen nicht von einem Mangel in den Notstand kommen. Daher benötigen wir wettbewerbsfähige Bedingungen und die kann Tarifpolitik schaffen.

Das Interview erschein in der tacheles Ausgabe 7/8 2020. Alle tacheles-Hefte stehen als pdf-Dateien auf den Webseiten des dbb zur Verfügung.

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